Erinnern wir uns zurück:
Der Iran begann bereits 1959 sein Atomprogramm mit dem Ziel, die Energieversorgung des Landes durch die Nutzung der Kernenergie zu ergänzen. US-Präsident Dwight D. Eisenhower überbrachte der Universität Teheran im Rahmen des „Atoms for Peace“-Programms einen Forschungsreaktor als Geschenk. 1968 unterzeichnete der Iran den Nuklearen Nichtweiterverbreitungs-Vertrag, der jegliche militärische Nutzung verbietet, die zivile Nutzung jedoch ausdrücklich erlaubt.
Die Islamische Revolution 1979 änderte die Machtverhältnisse. Die Arbeiten am Bau des Reaktors in Buschehr wurden eingestellt und ab 1995 von einem russischen Konzern fortgeführt. Trotz einer angeblichen Fatwa Ajatollah Ruhollah Chomeinis (Staatsoberhaupt Irans 1979-1989), wonach die Atombombe „unislamisch“ und keine Option sei, baute der Iran ab den 1990er Jahren seine nuklearen Kapazitäten aus. 2002 wurde bekannt, dass der Iran Atomanlagen unterhält, die nicht der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) gemeldet wurden.
Der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad nahm 2005 die Urananreicherung wieder auf. Ab Dezember 2006 verhängte der UNO-Sicherheitsrat Wirtschaftssanktionen gegen den Iran. Es folgten Sanktionen der USA, der EU sowie der Schweiz. Sie alle wurden mehrmals verschärft.
2015: Atomabkommen in Wien
Am 14. Juli 2015 einigten sich die UN-Vetomächte, Deutschland und der Iran in Wien auf das Atomabkommen. Es sollte mit folgenden Kernpunkten Teheran davon abbringen, eine Atomstreitmacht aufzubauen:
- Kontrolle: Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) erhält einen besonders intensiven Zugang zu allen Atomanlagen des Iran. Das gilt auch für die gesamte Atom-Infrastruktur, die zur Versorgung eines Kraftwerks nötig ist. Teheran muss bei begründetem Verdacht auch seine Militäranlagen öffnen. In Streitfällen soll eine Kommission entscheiden.
- Zentrifugen: In den ersten zehn Jahren müssen mehr als zwei Drittel der bestehenden Kapazitäten zur Urananreicherung stillgelegt werden. Die Zahl installierter Zentrifugen soll von 19.000 auf rund 6.000 sinken. Es dürfen auch nur ältere, weniger leistungsstarke Zentrifugen eingesetzt werden (Zentrifugen sind nötig, um das benötigte Uran-235, welches in der Natur zu etwa 0,4 Prozent vorkommt, auf etwa 4 Prozent als Brennstoff in Kernkraftwerken anzureichern)
- Anreicherung: Uran darf nur noch auf 3,67 Prozent angereichert werden, dieser Grad reicht für die Nutzung in Kraftwerken aus. Für eine klassische Atombombe wäre auf 90 Prozent angereichertes Uran nötig. Der Iran hatte einen Anreicherungsgrad von bis zu 20 Prozent erreicht, was für bestimmte medizinische und Forschungs-Zwecke vonnöten ist.
- Anreicherungsanlagen: Die Urananreicherung soll in der bestehenden Anlage Natans stattfinden. Die Anreicherungsanlage Fordo wird ein Atom-Forschungszentrum.
- Arak: Der Schwerwasserreaktor Arak soll so umgebaut werden, dass er kein atomwaffentaugliches Plutonium produzieren kann.
- Uranbestände: Die Menge des bereits angereicherten Urans wird für 15 Jahre von ursprünglich mehr als 10.000 Kilogramm auf 300 Kilogramm reduziert.
- Waffenembargo: Das UN-Verbot zur Ein- und Ausfuhr von Waffen wird um fünf Jahre verlängert. Auch Lieferungen, die dem Raketenprogramm des Irans dienen könnten, bleiben für acht Jahre verboten.
- Sanktionen: Im Gegenzug hebt der Westen Wirtschaftssanktionen auf. Sollte der Iran gegen die vereinbarten Regeln verstoßen, können die Strafmaßnahmen umgehend wieder in Kraft treten.
Ein großer diplomatischer Erfolg
Das Abkommen war ein großer diplomatischer Erfolg, weil es einen drohenden Krieg mit den Mitteln der Diplomatie verhinderte. Darüber hinaus stärkt es mit seinen starken Kontrollen das Nichtweiterverbreitungs-Regime. Ab Januar 2016 nahm der Handel mit Iran in allen Bereichen wieder Fahrt auf, und die iranische Wirtschaft wuchs in dem Jahr um zwölf Prozent. Doch im Mai 2018 kündigten die USA das Abkommen auf. Die Wiedereinführung der Sanktionen führte zu einer Wirtschaftsrezession im Iran.
Weil die anderen Partner der Vereinbarung sich faktisch auch an die US-Sanktionen hielten, nimmt seit Mai 2019 auch der Iran Schritt für Schritt vom Abkommen Abstand und hält zunehmend Abmachungen nicht mehr ein.
Angereichertes Uran aufgestockt
Die Vorräte an 20 Prozent angereichertem Uran wurden nach einem Bericht der IAEA (2021) aufgestockt. Seit November seien weitere 500 Kilogramm dazugekommen, heißt es im Bericht. Zudem verfüge Teheran nun über mehr als das 14-fache der Menge an schwach angereichertem Uran, die nach dem Atomabkommen von 2015 erlaubt ist. Außerdem erschwert der Iran die Arbeit der IAEA-Inspektoren und betrachtet die im Atomabkommen vereinbarten zusätzlichen Transparenzmaßnahmen als nicht mehr bindend. Die IAEA-Kontrollen sollen sicherstellen, dass das iranische Atomprogramm nur zivilen Zwecken dient. Sie zählten zu den Kernpunkten des Wiener Atomabkommens von 2015, das den Iran am Bau einer Nuklearwaffe hindern sollte. Im Gegenzug sollten die Sanktionen gegen Teheran aufgehoben werden. IAEA-Generaldirektor Rafael Grossi hat bei einem kurzfristig angesetzten Besuch in Teheran allerdings gewisse Regeln ausgehandelt, die mindestens drei Monate lang gelten und den iranischen Beschluss abfedern sollen.
Teheran will nach eigenen Angaben nur dann seine Verpflichtungen weiter erfüllen, wenn dies auch die USA tun - und vor allem die Sanktionen aufheben. Im Grunde dreht sich die Auseinandersetzung um die Frage, ob die internationale Staatengemeinschaft darauf vertrauen kann, dass der Iran seine technologische Fähigkeit, bei Bedarf in kurzer Zeit eine Nuklearwaffe zu entwickeln – nicht nutzen wird.
Iran fordert Recht auf ein ziviles Nuklearprogramm
Gleichwohl fordert der Iran sein Recht auf ein ziviles Nuklearprogramm ein. Denn der Nuklearen Nichtweiterverbreitungs-Vertrag verbietet zwar allen Staaten (mit Ausnahme der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates der UN) den Besitz der Nuklearwaffe, er fördert aber gleichzeitig gezielt die friedliche Nutzung von Kernenergie. Letztere ist auch ein Anliegen der iranischen Zivilgesellschaft, die ohnehin aufgrund des erratischen Kurses der USA nur mehr wenig Vertrauen in diese hat: Iranerinnen und Iraner pflegen ein durchaus kritisches Verhältnis zu ihrer Regierung, doch liegt ihnen die Bedeutung ihres Landes als „große Nation“ sehr am Herzen. Dazu gehört auch der wissenschaftliche Fortschritt und damit die Verfügbarkeit von Nukleartechnologie. Das Beherrschen des sogenannten Brennstoffkreislaufs – von der Urananreicherung über die Kernspaltung bis hin zur Wiederaufarbeitung der Abfallprodukte – ist eine Leistung, die nur wenige Länder der Welt gemeistert haben. Von dort ist es allerdings nur ein kleiner Schritt zum möglichen Bau einer Bombe.
Trump wollte Atomabkommen zerstören, Biden rudert zurück
Ex-US-Präsident Trump hat alles darangesetzt, das Atomabkommen mit dem Iran zu zerstören. Sein Nachfolger zieht jetzt einen Teil der dafür ergriffenen Maßnahmen wieder zurück - und signalisiert Gesprächsbereitschaft. Unter Präsident Biden wird die Iran-Politik möglicherweise andere Konturen bekommen. So hat der Demokrat dem massiv unter den neuen Sanktionen leidenden Iran eine Rückkehr zum Atomabkommen in Aussicht gestellt, wenn Teheran sich an die Auflagen des Vertrags hält. Allerdings wird dort 2021 ein neuer Präsident gewählt, und das könnte ein Hardliner sein. Somit bliebe ein kleines „window of opportunity“.
Die Rolle Europas
Welche Rolle spielt Europa? Europa hat sich nicht dem US-amerikanischen Kurs angeschlossen, allerdings folgte die Wirtschaft im Hinblick auf allfällige US-Sanktionen der Marktmacht USA. In der derzeitigen festgefahrenen Situation könnte Europa die Vermittlerrolle einnehmen. Eine aktive Rolle Europas, welche an den grundlegenden Regeln des Atomabkommens festhält, könnte die Handlungsfähigkeit in dieser für Sicherheit und Wohlstand des Kontinents wichtigen Region wahren.
Treffen mit USA abgesagt
Im Streit um das Atomabkommen hat der Iran am 1. März 2021 einem Treffen mit den USA eine Absage erteilt. Die USA müssten zuerst alle Sanktionen aufheben. Washington reagierte „enttäuscht“, aber signalisierte weiterhin Gesprächsbereitschaft.
Allerdings ist der Atomstreit nur ein Puzzlestein in einem größeren Bild. Und in diesem spielen unter anderem auch die Erzfeindschaft Teherans zu den USA und zu Israel, die Beziehungen zu Saudi-Arabien oder die Rolle im Konflikt in Syrien eine wesentliche Rolle.
Erfolgsaussichten bescheiden
Letztlich können nur umfassende Verhandlungen die Spannungen in der Golfregion verringern, an denen sich alle wichtigen Nachbarstaaten beteiligen. Einseitige Beschränkungen wird der Iran kaum akzeptieren. Die Erfolgsaussichten eines solchen Unterfangens sind bescheiden. Interessensgegensätze und Misstrauen sind groß.